Dienstag, 12. Juli 2016

Torstens Reise- und Genusskommentar: Escaldes-Engordany / Revel

Torsten (Priorat) Hammer schreibt zu den Etappen über seine vielfältigen Reise-und Genusserfahrungen



Andorra kenne ich seit 1991 und lange Jahre war es mein Lieblingsland in vielerlei Hinsicht. Wie bereits erwähnt kam ich damals per Rad über Seu de Urgel und überquerte den Port d´ Envalira in Richtung Frankreich, so wie es auch heute in der Etappe gemacht wird.

In den ersten Jahren wirkte Andorra auf mich wie ein riesiger Einkaufstempel in einem recht alten Dorf. Seither hat sich vieles verändert – nicht alles zum Positiven.



Bereits auf meiner ersten Tour war ich begeistert von den romanischen Kirchen in Santa Coloma und in Canillo, aber auch von den einst billigen Preisen allerorten. Gezahlt wurde wahlweise in Peseten, wenn diese weg mussten oder in Francs und man konnte auch die Währungen mischen. Bei einem Gaststättenbesuch zum Essen wurde fast überall ein fahrbares Tischchen mit diversen Edelspirituosen zur Gratis-Selbstbedienung an den Tisch gestellt, man fand für um die 1000 bis 1200 Peseten auch ein Bett für die Nacht, beim Kauf von 2 kg Kaffee – wobei das umgerechnet nicht viel mehr als 5 € kostete, wurde manchmal gratis eine Flasche Baileys beigegeben, dann in den 90ern gab es im Punta Trobada, dem riesigen Einkaufstempel kurz vor der spanischen Grenze eine oft wunderbare Auswahl spanischer Weine – wo sich auch sehr gute und interessante Prioratweine finden ließen (meine 3 Flaschen 1998er Vall Llach hatte ich z.B. von dort, aber auch diverse Weine der 90er von den „Pionieren“).Die waren zwar auch teuer aber dank fehlender Mehrwertsteuer immer noch deutlich günstiger als anderswo.

Aber auch Gewürze, Käse aus dem Aran-Tal und katalanische Wurst mussten immer mit. Und natürlich der besonders günstige grüne Chartreuse oder mal ein doppelt gebrannter Anis aus Andalusien oder ein Absinth (den man zu der Zeit sonst nirgends fand). Seit das Punta Trobada allerdings zu Leclerc gehört, ging es rapide abwärts mit guten Angeboten und auch mit den Sonderofferten. Dieses Jahr kam ich zu dem Schluß, dass es sich eigentlich nicht mehr lohnt, dort einzukaufen. Das Angebot ist mau und die Preise nicht mehr besser als anderswo.

Wenn es schwer ist, andorranische Briefmarken zu bekommen, weil die Postämter die meiste Zeit geschlossen sind, so ist es beinahe unmöglich, an die neuen andorranischen Euromünzen heran zu kommen, man zahlt auch in Andorra seit 2002 mit dem Euro, aber lange hat es gedauert, bis eigene Euro – Münzen herausgegeben wurden, die jedoch alle von Spekulanten abgefangen werden, und dann teuer vertickt werden. Selbst Andorraner durfen wohl nur jeweils einen Satz pro Haushalt 1 zu 1 auf Antrag erwerben.

Vielleicht aber ist die Euro-Einführung auch eine Art Zäsur gewesen... Seither beobachte ich eine generelle Verteuerung und Angleichung des Angebotes an Spanien resp. Frankreich.
Dennoch muss es dem Land an sich nach wie vor gut gehen. Die Arbeitslosigkeit ist gegen Null tendierend und überall boomt seit Jahren das Land. Überall wird gebaut, entstehen neue Siedlungen und Straßen, Die „einzige“ Durchfahrtstraße bietet fast nur noch oberhalb von Encamp unberührte Natur, die Ortschaften „dehnen“ sich aus.

Dennoch gibt es abseits davon nach wie vor ruhige Ecken, sehr viel Natur und Bergsportmöglichkeiten aller Art. Es lohnt ich inzwischen mehr, zum Wandern als zum Einkaufen hier her zu kommen. Etliche Gipfel lassen sich leicht wandernd erklimmen, manche erfordern auch ein kleines alpines Händchen. Es gibt grandiose Naturkulissen und Gegenden, wo man fast einsam ist.

Um Canillo sind etliche lohnende Klettersteige entstanden, die sich ihren großen alpinen Vorbildern gegenüber nicht verstecken müssen. Es gibt eine lange Abseilroute und zwei Vies Cables, an denen man richtig im Fels ohne künstliche Hilfen klettert, aber gesichert ist wie im Klettersteig.



Oben wird geklettert, unten geht heute die Tour durch

Dazu kommen weitere weniger lohnende Klettersteige und Sportklettergebiete. In der Natur trifft man auf Gemsen, Pyrenäensteinböcke, Bergziegen, Murmeltiere, diverse Bilcharten und eine riesige Vogelwelt...

Man darf zwar nicht im Zelt außerhalb von Zeltplätzen biwakieren, aber es gibt ein gutes Netz kostenfreier Wanderhütten.

In den Ortschaften findet man hingegen leider nur noch kostenpflichtige Parkplätze – wie ich dieses Jahr mit großem Bedauern feststellen musste, eine Endeckungstour von Ort zu Ort geht damit nun deutlich ins Geld – auch das war früher deutlich besser. Tanken allerdings kann man in Andorra noch immer am Günstigsten – es lohnt also nach wie vor die Einreise mit fast leerem Tank. 1,005 € / l habe ich dieses Jahr für 95er Super berappt – und auf der Rückfahrt sogar meine bislang einzige Euro – Münze aus Andorra bekommen – es gibt sie also doch....


Ich hatte 1991 auf meiner Radtour in Andorra la Vella übernachtet, das kleine familiengeführte Hotel war auf Radtouristen nicht eingestellt und man riet mir dazu, das Rad mit auf´s Zimmer zu nehmen. Und dass war im 3 Stock – mit enger steiler Treppe. Dafür war es gut und günstig, genau wie das Abendmenü, was man mir zauberte.

Genau wie heute für die Radler ging es auch für mich vom Start weg sofort bergan – nur, dass ich noch etwa 30 km Gepäck bei mir hatte. Relativ bald nach dem Start fing es an zu regnen, neben der Kraftausdauer für den über 20 km langen Anstieg war dann auch noch Disziplin gefragt.

Eine erste Pause genehmigte ich mir in Canillo, um etwas oberhalb dieses Dorfes die romanische Kirche zu besichtigen, eine der sehenswertesten im Principat...

Heute würde ich schon unterhalb von Canillo parken, am Friedhof – dieser Parkplatz ist Ausgangspunkt für zwei der vier Klettersteige von Canillo, beide miteinander kombiniert ist dann schon eine gute Herausforderung an Psyche und Kraft und mir meine Klettersteighöchstwertung wert. Am Ende des ersten Steiges wartet ein ausgiebiges und kraftraubendes Überhangstück, der obere Steig hat u.a. ein kniffiges Hangelstück. Wer sein 60 m Seil bis zum Ende des ersten Steiges hoch schleppt, der muss nicht abwandern, sondern kann zunächst mehrfach in einer Schlucht abseilen. Am Ende wartet eine Dreifachabseile in einer steilen Wand, die man auch sofort nochmals erklimmen kann. Hier gibt es zwei Kletterwege, die ich auch inzwischen beide gemacht habe und wo man wie am Klettersteig gesichert emporklettert.



Aber zurück zur 1991er Tour... Nach dem Besuch der Kirche regnete es nicht weniger, sondern mehr, in Soldeu, dem damals letzten Ort vor dem Paß, war die Moral am Ende und das Bedürfnis nach Einkehr groß... Was trinken und eine wärmende Suppe. Plötzlich sehe ich draußen einen Radfahrer mit Gepäck, der sich wie ich den Berg hocharbeitet. Zahlen und nachsetzen. Tatsächlich - ich hol ihn ein, wir sind nun mitten in den Wolken.

Über den Wolken ist es trocken, aber auch kalt. Der Port d´ Envalira hat Anfang August 6°C über Null auf etwas über 2400 m Höhe... So was merkt man sich. Ein Leben lang. Aber auch die faszinierenden Blicke vom Pass in beide Richtungen. Zwischenzeitlich konnte man immer mal in einer kleinen Bar einen Kaffee oder auch ein Bierchen trinken, in den letzten Jahren aber war dort leider alles geschlossen. Nur Tankstellen hat es auf dem Pass, die Mineralölfirmen streiten sich dabei um den lukrativsten Aussichtsplatz – bei den billigen Preisen aber ist man sich in der Hierarchie einig. BP ist immer nochmals ein Müh günstiger als die Konkurrenz.



Dann geht es bergab. Die Tour de France Radler werden dabei sicher hoffentlich durch die Grenzanlagen rasen dürfen, ohne sich ausweisen zu müssen und nachzuweisen, wieviel Alkohol resp. Zigaretten sie nach Frankreich einführen. Normale Wanderer, Radfahrer und Autofahrer werden bis heute von den französischen Behörden bisweilen peinlich genau geprüft. Man sollte sich als Autofahrer also immer fragen, wann man dort einreist – nie am Nachmittag oder frühen Abend kurz nach Geschäftsschluß. Die Zeit, die man sonst an der Grenze verwartet, verbringt man besser noch mit einem guten Essen in Pas de la Casa. Und kommt dann später ohne große Wartezeit durch die Grenze. Aber vielleicht dann auch im Dunklen oder im Wolkennebel. Oder im Gemisch aus beidem wie in diesem Jahr, wo ich mir bei der Rückkehr aus dem Priorat schließlich in Merens le Val ein Zimmer in einer hübschen Gîte / Chambre d´ Hôte gönne.



Auch im höchstgelegenen französischen Ort L´Hospitalet pres l´Andorre hab ich bereits mal übernachtet, 1992, als ich mir eine Bahnrundreise durch Frankreich gönnte. Von diesem lausigen Kaff mit Hotel und Bahnhof bin ich dann mal nach Andorra getrampt. Einmal reicht das, wie ich überhaupt solche Bahnrundreisen inzwischen äußert beschwerlich finde. Man schleppt seinen Hausrat auf dem Rücken rum und ist an Fahrpläne gebunden, auch wenn sich das Bahnpersonal an selbiges nicht hält...

1991 sind wir im Stück abgerollt bis nach Ax-les-Thermes, es war einfach viel zu kalt für Zwischenstopps. Der mit mir radelnde Freund kam aus der Bretagne und war im Gegensatz zu mir nicht zum ersten Mal da. In Ax versprach er Linderung des Frierens. Es gab einen Kaffee und eine Rosinenschnecke mit im Thermalbecken baumelnden Füßen, eine Tradition, die ich seither aufrechterhalte, wann immer ich nach Ax-les-Thermes komme.

1991 bin ich dann über den Chioula – Pass weitergeradelt, die weitere heutige Strecke kenne ich aber per Auto auch zum allergrößten Teil.

Zunächst geht es durch das hübsche Ariège - Tal mit seinen felsigen Abschnitten. Mehrere Orte hier würden zum Verweilen einladen, wenn man nicht immer nur durchfahren würde – wie ich in den letzten Jahren vielfach auf dem Weg ins Priorat oder davon zurück.

Die 20 km aus dem Ariège Tal hinüber nach Lavelanet sind die einzigen er heutigen Etappe, die ich nicht aus eigenem Erleben kenne.
Ab dort kenne ich die Strecke bis Revel in entgegengesetzter Richtung von einer Urlaubstour, auf der ich mich verstärkt den Katharerburgen widmete. Ich bin hier weiter gefahren nach Montsegúr als erstem Highlight der Katharer – Tour.

Auf der Strecke hatte ich natürlich auch in dem hübschen Kleinstädtchen Mirepoix haltgemacht, dem kulturellen Highlight der heutigen Etappe mit seinen Fachwerkhäusern mit den großen Arkaden, mit seiner Markthalle und seiner Kathdrale.

Die Landschaft ist nun wellig und hübsch, aber im Gegensatz zum ersten Teil der Etappe unspektakulär.

Hier geht es eher ums Kilometerfressen... Ein Hochgenuss anderer Art bietet das immer quirlige Städtchen Castelnaudary. Hier rühmt man sich eines besonders guten Cassoulet – Rezeptes. Dabei fällt mir ein, dass ich das auch schon lange mal wieder machen wollte, aber irgendwie ist ein Cassoulet auch kein rechtes Sommeressen, obwohl man es vor Ort zu jeder Jahreszeit anbietet...

Im Zielort Revel (ebenfalls mit schönem alten Ortskern, einer alten Markthalle und einem Wehrturm) ist man fast schon wieder an den Ausläufern des Zentralmassivs – genauer an denen der Montagne Noir. Insofern überrascht der Schlußanstieg uns nicht, auch wenn er natürlich ein Klacks ist. Gemessen an dem, was war...



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